geschichte

Ein kleiner historischer Rückblick von Matthias Diehl

Die Gründerzeit und der Zeitgeist des Patriotismus

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts fand das in den Städten entstandene Vereinswesen allmählich Eingang in das gesellschaftliche Leben unserer Dörfer. Den Anfang machten zunächst die Gesangvereine.

Meistens waren es die Lehrer, die zur damaligen Zeit einen starken Einfluss auf Kultur, Erziehung und Allgemeinbildung hatten und vielerorts als Gründer von Gesangvereinen in Erscheinung traten. So auch in Biskirchen, wo der Dorfschulmeister Georg Tiers im Jahre 1865 den Männergesangverein „Liederkranz“ ins Leben rief. Die politischen Ereignisse (Deutsch-Dänischer Krieg 1864 und das Machtbestreben der Preußen) in jener Zeit gaben den Menschen das Gefühl gesteigerter Lebensfreude, damit verbunden das Bedürfnis zur Pflege von Geselligkeit und Patriotismus. Die vaterländische Gesinnung hatte auch Einfluss auf die Wahl von Vereinsnamen und das Liedgut entsprach ebenfalls dem Geist jener Zeit. Noch vor dem Fahnenweihfest im Juni 1866 erhielt der „Liederkranz“ den Namen „Borussia“, benannt nach dem weiblichen Sinnbild Preußens.

Gemäß dem wilhelminischen Zeitgeist des 1871 gegründeten Deutschen Kaiserreichs pflegte man auch die enge Zusammenarbeit mit dem örtlichen Kriegerverein, der zwei Jahre nach dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges (1870/71) entstand. Neben der Beteiligung an Sänger- und Kriegerfesten sowie Fahnenweihen in der näheren Umgebung gehörte das 25jährige Chorjubiläum am 29. Juni 1890 ebenso zu den wichtigsten Meilensteinen der Vereinsgeschichte wie die mit dem Kriegerverein gemeinsam durchgeführte Pflanzung einer Eiche anlässlich des 80. Geburtstages von Fürst Otto von Bismarck am 1. April 1895. Erwähnenswert ist auch das persönliche Ständchen für Seine Majestät, dem Kaiser Wilhelm II, der im gleichen Jahr in Ems zur Kur weilte.

Rege Choraktivitäten, allerdings nur von kurzer Dauer, entwickelten sich zusätzlich mit den Neugründungen der Gesangvereine „Germania“ und „Eintracht“ wenige Jahre vor dem ersten Weltkrieg.

Die kulturelle Arbeiterbewegung in der Weimarer Zeit

In den Jahren nach diesem Krieg vollzog sich die Vereinsarbeit im 1865 gegründeten bürgerlichen Gesangverein „Borussia“ sehr langsam. Dieser unbefriedigende Zustand, besonders in der frühen Entwicklungsphase einer demokratischen Staatsform, veranlasste sangesfreudige junge Männer des Dorfes im Jahre 1924 sich einem Kreis politisch und gewerkschaftlich organisierter Industriearbeiter anzuschließen, um den Arbeitergesangverein „Sängergruß“ zu gründen, der dem sozialdemokratischen „Deutschen Arbeiter-Sängerbund“ beitrat.

Neben der Beteiligung an Wertungssingen, eigenen Konzerten und Theaterabenden war das Fahnenweihfest am 10. und 11. Juli 1927 der Höhepunkt in der relativ kurzen Geschichte des Arbeitergesangvereins, der auch mit etwa 35 Frauen als Gemischter Chor erfreute. Das Liedgut des Arbeitergesangvereins bestand neben Volksliedern überwiegend aus Kampfliedern der Arbeiterbewegung.

Konkurrenzdenken soll es zwischen der bürgerlichen „Borussia“ und dem Arbeiterchor nicht gegeben haben, was auch die Teilnahme des „Sängergruß“ aus Anlass des 60jährigen Stiftungsfestes des Brudervereins am 4. und 5. Juni 1926 beweist.

das Dirigat der Sängervereinigung „Borussia-Sängergruß“ Biskirchen.

Chorliteratur des „Deutschen Arbeiter-Sängerbundes“ (DAS)

Das Vereinsleben unter dem Hakenkreuz

Das Ende des politisch motivierten Vereins kam unmittelbar nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Jahre 1933. Im Zuge der Gleichschaltung der Gesangvereine im Sommer 1933 wurden das Vermögen und die Fahne des aus politischen Gründen aufgelösten Arbeitergesangvereins beschlagnahmt.

Der ältere Verein „Borussia“ durfte unter dem Einfluss nationalsozialistischer Ideologie weiterbestehen, jedoch unterlagen die Aktivitäten einer Zensur durch die Parteileitung. Dennoch stand der Vereinszweck, die Pflege des deutschen Volksliedes, im Vordergrund.

Kriegsbedingt musste das 75jährige Chorjubiläum 1940 ausfallen. Die Tätigkeiten des Chores litten unter den Kriegswirren. Zwanzig Sänger kehrten nicht mehr von den Schlachtfeldern in die Heimat zurück – ein herber Verlust für den Chor.

Festumzug am „Tag des deutschen Bauern“ am 1. Oktober 1933: Gesangverein „Borussia“ und Kriegerverein marschieren Seite an Seite.
Vereinsausflug des MGV „Borussia“ nach Hohensolms am 3. Mai 1936.

Der Neubeginn unter Aufsicht der alliierten Besatzung

Fahnenreicher Festumzug anlässlich des Jubiläums „85 Jahre Chorgesang in Biskirchen“ mit Fahnenweihe im Juli 1950.
Fahnenweihe im Juli 1950.
Die erste Fahne des Gesangvereins „Borussia“ von 1866 und die 1950 geweihte Fahne der Sängervereinigung „Borussia-Sängergruß“.

Erfolgreiche Zeiten mit hochmotivierten Chorleitern

Mit der Übernahme des Dirigentenstabes durch Herrn Helmut Meichsner begann im Jahre 1967 eine fast 33jährige Ära.

Zwischen 1969 und 1979 existierte auch innerhalb des Vereins ein Kinderchor.

Mit einem hohen Maß an musikalischem Sachverstand konzipierte der begnadete Chorleiter Meichsner niveauvolle Konzerte und Liederabende.

Unvergessen ist auch das schöne, harmonisch verlaufene Sängerfest zum 125jährigen Chorjubiläum vom 3. bis 6. August 1990.

Im Jahre 1999 wurde der inzwischen verstorbene Helmut Meichsner zum Ehrenchorleiter ernannt.

Von November 1999 bis April 2010 stand der Chor unter der Leitung von Hardy Schneider. Im Mai 2010 übernahm Dieter Kerz das Dirigat der Sängervereinigung „Borussia-Sängergruß“ Biskirchen.

Zukunftsaussichten

Nach dieser Zeitreise in die wechselvolle Vergangenheit des Biskirchener Gesangvereins sollte man wissen, dass das Vereinsleben und auch das Liedgut immer unter dem Einfluss des jeweiligen Zeitgeistes standen. Die trendorientierten Anpassungen bezüglich des Liedgutes waren in den vergangenen 150 Jahren der Garant für den Fortbestand des Chorgesangs, der in Biskirchen noch immer einen hohen Stellenwert hat.

Um dieses weiterhin zu gewährleisten, hatte der Traditionsverein im Jahre 2005 eine Sparte installiert, die sich gegenwärtig ausschließlich mit moderner Chorliteratur – nicht nur in deutscher Sprache – beschäftigt.

Durch die Gründung der Formation „Kontraste“, verbunden mit einer Anpassung des Liedgutes bzw. der Erweiterung des Repertoires, hatten die Vereinsverantwortlichen die Weichen bereits für die Zukunft gestellt. Inzwischen ist diese „junge“ Formation nahtlos zum „Stammchor“ geworden.

Neben dem traditionellen weltlichen und kirchlichen Chorgesang unter kompetenter Leitung von Dieter Kerz beschäftigt sich der Chor auch mit modernem, zeitgemäßem Liedgut mit musikalischen Elementen aus Pop, Jazz und Musical.

Nach dem Veranstaltungsjahr aus Anlass des 150jährigen Chorjubiläums (2015) optimierten wir unsere Bühnenperformance und legen seitdem unseren Fokus auch auf die Kombination von Chorgesang und Choreografie sowie effektvoller Bühnentechnik und themenbezogenem Konzertambiente, erstmals zum Konzert „Movie, Musical & More“ (2017) und „New Generation“ (2019).

Ein attraktives Liedgut mit einer fröhlichen Sängerschar umsetzen zu können, bietet beste Voraussetzungen für die Zukunft. Gleichzeitig ist es eine gute Werbung für den Chorgesang im Allgemeinen und letztendlich auch für den Verein,  der in den vergangenen Jahren einige bemerkenswerte Erfolge feiern konnte, wie  den gewonnenen Chorpreis Lahn-Dill (2018) und dem Sieg des HR4-Chorwettberwerbs „Singt Euren Song“, verbunden mit einem TV-Live-Auftritt auf dem Hessentag in Bad Hersfeld am 15. Juni 2019 mit den beiden Titel „Skyfall“ (Adele/ Arrangement: Paul Langford) und „Freiheit“ (Marius Müller-Westernhagen).

Für die Aktiven des Chores in Zusammenarbeit mit dem Promi-Coach Marc Marshall waren die Vorbereitungen in den Wochen zuvor und final dieser Tag im Backstage-Bereich und auf der Showbühne vor den TV-Kameras des Hessischen Rundfunks die wohl spannendste Zeit in der Vereinsgeschichte.

Mit dem Installieren eines Kinder- und Jugendchores, anfangs noch in Zusammenarbeit mit der Grundschule „Lahn-Ulm“ Biskirchen, setzte die Sängervereinigung einen sehr wichtigen Meilenstein im Verein und in der Stadt Leun.

Neben kleinen Auftritten konnte diese Formation mit den beiden Kindermusicals „Sternenzauber“ (2019) und „Tuishi pamoja“ (2022) zwei kulturelle Glanzpunkte setzen und das heimische Publikum begeistern.

Mit einem stabilen Stamm an „erfahrenen“ Sopranisten, Altisten, Tenören und Bassisten sowie einigen jungen talentierten Nachwuchssängerinnen und -sängern sind wir dank eines ganz hervorragenden Chorleiters weiterhin auf einem guten Weg.

Das Gleiche gilt auch für unseren Sängernachwuchs in den beiden Kinder- und Jugendchören unter der Leitung von Sabine Straßheim, die ihr Können gegenwärtig als „Little Biski Singers“ und „Young Biski Singers“ unter Beweis stellen wollen.

Wir sind voller Zuversicht, dass wir auch nach fast dreijähriger Corona-Zeit (2020 – 2022), trotz der damit verbundenen Hindernisse in der praktischen Chorarbeit, unter den obengenannten positiven Voraussetzungen die fast 160jährige Chortradition in unserer Heimatgemeinde und in der Region in den kommenden Jahrzehnten mit Erfolg fortzusetzen können.

Stand 02/2023, Autor: Matthias Diehl

„Tradition gepaart mit Moderne”

Wer mehr aus der Geschichte des Chorgesangs
in Biskirchen und über den Chor erfahren möchte,
dem empfehlen wir unser rund 200 Seiten starkes Buch
„150 Jahre Chorgesang“.